Berlin. Aus der chaotischen Kanzlerwahl von Friedrich Merz schlägt die AfD politisches Kapital. Warum sie seinen zweiten Wahlgang mittrug.

Am Dienstagmittag wähnt sich Alice Weidel ihrem Ziel ganz nah. Kurz vor dem Statement vor den Mikrofonen und Kameras im Bundestag sendet sie noch einmal ein Victory-Zeichen mit ihren Fingern, offenbar an ihre Anhängerschaft im Besucherbereich des Parlaments. So zeigt es ein Video, das die Minuten vor dem Auftritt mit aufgezeichnet hat.

Es ist in dem Moment nicht lange her, da ist CDU-Kandidat Friedrich Merz in seinem ersten Wahlgang zum Kanzler gescheitert. Er verfehlte die Mehrheit. Und Alice Weidel, Vorsitzende der Fraktion der AfD, fährt nun die Rhetorik für Neuwahlen hoch. Denn sie weiß: Gibt es neue Wahlen, kann vor allem die nunmehr durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte AfD profitieren. Das „Beste“ wäre es gewesen, so Weidel, „das langsame Sterben eines Friedrich Merz sofort zu beenden“ und „den Weg frei zu machen für Neuwahlen“.

Nach Neubewertung: AfD zieht gegen Verfassungsschutz erneut vor Gericht

weitere Videos

    Am Ende dieses Tages ist Merz ist Kanzler – und doch ist nicht er der Gewinner des gestrigen Tages im Bundestag. Vor allem die AfD kann aus den Stunden der Ungewissheit über die Kanzler-Wahl politisches Kapital schlagen. Das hat drei Gründe.

    Grund 1: Die AfD setzt auf Instabilität der Mitte

    Je schwächer die Mitte, desto stärker die Ränder – das ist eine gängige These der Politikwissenschaft. Mit dem Scheitern von Merz im ersten Wahlgang zeigt sich, dass es in der Koalition von Union und SPD schon vor Arbeitsbeginn rumort und Widerstände gibt. Die können sich verschärfen, wenn gravierende inhaltliche Entscheidungen anstehen. Die AfD lebt vom Scheitern der anderen. „Die Kanzlerschaft von Merz ist auf Sand gebaut“, sagt etwa die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch unserer Redaktion. „Sie ist fragil von der ersten Minute an.“

    Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

    Hinter den Kulissen der Politik - meinungsstark, exklusiv, relevant.

    Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

    Unsicherheit, Streit, Kurswechsel – das hat Deutschland seit den letzten Monaten der Ampel-Regierung erlebt. Die AfD steigt in den Umfragen, erzielt ihr bestes Wahlergebnis im Februar. Auch in der Phase nach der Wahl, im Übergang zur neuen Großen Koalition, steigt die AfD weiter an. Das zeigt: Sie kann von instabilen Machtverhältnissen profitieren. Das Scheitern von Merz im ersten Wahlgang war zumindest ein kurzfristiger Turbo für Unsicherheit. Das zeigte auch der Sturz der Börsen-Kurse.

    Koalitionsvertrag: Darauf haben sich CDU/CSU und SPD geeinigt

    Grund 2: Die AfD kann ihren Hauptgegner weiter diskreditieren

    Für Friedrich Merz, den wichtigsten Mann in der CDU, war das Scheitern eine persönliche Niederlage. Sie wirft aber auch keinen guten Blick auf die Unionsfraktion – am Ende auf die ganze Partei. Tenor: Sie hat ihre Leute nicht im Griff, selbst in so zentralen Momenten wie die Kanzlerwahl nicht. Die AfD hat in der Vergangenheit die CDU zu ihrem Hauptfeind erklärt. Sie sehen die Christdemokraten als direkte Konkurrenten um Wählerstimmen, so steht es in einem internen Strategiepapier des AfD-Bundesvorstands aus dem vergangenen Wahlkampf.

    Wäre Merz ein zweites Mal gescheitert, hätte es Neuwahlen geben können. Die Union wäre maximal geschwächt und ohne Merz angetreten. Auch darauf spekulierte die AfD gestern kurzzeitig – und stimmte einem schnellen zweiten Wahlgang auch aus diesen strategischen Überlegungen zu, heißt es in der Fraktion.

    Grund 3: Die AfD kann sich als stabiler Bündnispartner inszenieren

    Bei allen Anfeindungen gegen die Union, gegen die „Altparteien“ – die AfD will nie zu radikal erscheinen. Die Parteispitze will Koalitionsbereitschaft signalisieren. Man gibt sich als verlässlicher Partner, vor allem für die CDU. Es gebe eine „stabile Mehrheit“ mit AfD und Union, sagt Politikerin von Storch, zumindest bei wichtigen Themen wie Migration und Wirtschaft. Es brauche keine Neuwahlen, es reiche, wenn Merz „seine Brandmauer“ zur AfD abbaue.

    Lesen Sie auch: Alice im Männerland: Wie Weidel als lesbische Frau in der AfD agieren muss